Zu meinen absoluten Lieblingsgenres für „Zwischendurchlektüren“, also Bücher, die ich leicht nebenher lesen kann, die einfach unterhalten ohne dabei allzu große Ansprüche zu stellen und damit auch in stressigen Zeiten eine gute Möglichkeit sind, um mal für ein paar Kapitel in andere Welten abzutauchen, gehört alles, was irgendwie in den Bereich Fantasy of Manners oder Gaslamp Fantasy fällt, gerne auch mit ordentlichen Steampunk-Elementen. Kurz: Alles was in einer fantastischen Version unserer Welt im 18. bzw. 19. Jahrhundert spielt.
Das Parasolverse von Gail Carriger
Ein großer Favorit sind dabei die Romane der amerikanischen Autorin Gail Carriger. Zumindest die, die sie unter diesem Namen herausbringt, denn seit 2009 schreibt sie Romane und Novellen, die in einer fantastisch-viktorianischen Version unserer Welt spielen: Die Parasolverse Bücher. Parasolverse deshalb, weil die erste Reihe, die sie veröffentlicht hat, unter anderem den Reihentitel „Parasol Protectorate“ trägt. Die Protagonistin dieser Romane ist nämlich unter anderem auch im Auftrag Ihrer Majestät unter dem Codenamen Ruffled Parasol (also ‚gerüschter Sonnenschirm‘) unterwegs.
In der Welt dieser Bücher, die – oh Wunder – zur Zeit von Königin Viktoria und größtenteils in England spielen, gehören sowohl Zeppeline als auch Vampire und Werwölfe zum Alltag dazu. Dabei ist der supernatürliche Aspekt in den meisten Büchern deutlich stärker ausgeprägt als die Steampunk-Elemente, dazu kommen Abenteuer und Romantik, die sogar für meine Verhältnisse gut erträglich gemacht war. Entstanden ist daraus eine ganze Sammlung verschiedener Reihen, die ich euch im Folgenden gerne vorstellen möchte:
Die Parasolverse-Reihen in chronologischer Reihenfolge
Alessandro Tarabotti ?
Die einsame Prequel-Kurzgeschichte (1841)
„The Curious Case of the Werewolf That Wasn’t(, the Mummy That Was, and the Cat in the Jar)“ ist der einzige Titel, den ich hier eigentlich nur der Vollständigkeit halber aufführe. Die Kurzgeschichte, in der man Alessandro Tarabotti, den Vater von Alexia Tarabotti aus der „Parasol Protectorate“ Reihe, näher kennen lernt.
Oder auch nicht. Denn einen wirklich genauen Einblick in dessen Leben oder Charakter kriegt man auf den knapp 30 Seiten definitiv nicht. Die Geschichte ist kurz und vergleichsweise schnörkellos, der Inhalt hält sich ebenfalls in Grenzen. Nichts was man gelesen haben muss, selbst als Fan der Serie, und ganz eindeutig kein guter Einstieg ins Parasolverse.
Finishing School ????
Die etwas andere Mädchenschule (1851-53)
Die Young Adult Prequel-Reihe zum „Parasol Protectorate“ spielt 25 Jahre vor der Originalreihe. Handlungsort ist „Mademoiselle Geraldine’s Finishing Academy for Young Ladies of Quality“, ein Mädchenpensionat. das in einem Zeppelin untergebracht ist. Und auch sonst ist diese Schule nicht so ganz normal. Denn neben den ganz normalen Dingen, die junge Damen im 19. Jahrhundert eben so wissen sollten, lernen die Schülerinnen hier auch die Kunst der Spionage und allerlei andere eher undamenhafte Dinge.
Die 14 jährige Sophronia Temminnick ist Protagonistin des „Finishing School“ Quartetts und die Person, an deren Seite man als Leser eben diese Schule und ihre Bewohner kennen lernt. Zu denen gehören nämlich nicht nur eine illustere Gruppe von Schülerinnen und das ebenso exzentrische Lehrpersonal, sondern auch einige andere spannende Figuren. Die meisten Figuren sind dabei, wie Sophronia selbst, im Teenageralter, aber nicht weniger skurril als in den anderen Serien. Ein weiterer Unterschied zum Rest des Parasolverse ist das technische Steampunk-Element, das hier nochmal eine Ecke deutlicher ist.
Ein Problem gibt es aber und das ist nicht ganz unerheblich: Einer der Jungs, die im Boilerraum des Zeppelins arbeiten, ist schwarz. Und während einige der Äußerungen, die hier fallen, möglicherweise unter „Zeitgeist“ gefasst werden könnten, sind sie dennoch rassistisch. Verdammt rassistisch, das fängt beim Spitznamen, Soap (also ‚Seife‘), an. Und vor allem fehlt die Gegenstimme. Egal ob Erzähler oder andere Figuren, niemand widerspricht den rassistischen Äußerungen, sie werden einfach stehen gelassen.
Delightfully Deadly ???
Spione, Auftragsmörder und die Liebe (1867)
Ich weiß nicht, ob ich hierbei tatsächlich von einer Novellenreihe sprechen würde, denn seit der ersten Novelle von 2016 gab es keine Anzeichen für weitere Titel. So oder so geht es in dieser Reihe um die Absolventinnen der Finishing School und wie deren Leben weiter verläuft. Und ich hoffe wirklich sehr, dass es da irgendwann nochmal mehr von geben wird.
Denn auch wenn hier, wie bei allen anderen Novellen, die Liebe im Vordergrund steht, kriegt man eben doch interessante Einblicke in das Leben, das Figuren führen, nachdem die Geschichten, in denen sie vorkamen, vorbei sind. Dabei eröffnen sich auch mal ganz ungeahnte Perspektiven auf Charaktere, die einem vorher vielleicht gar nicht sonderlich sympathisch waren. So auch bei Lady Preshea Villentia, Mourning Star, die hier nach vier (nicht auf gänzlich natürliche Weise) verstorbenen Ehemännern die große Liebe findet.
Parasol Protectorate ?????
Das Original – mit tödlichen Sonnenschirmen (1873-76)
Die Reihe, mit der alles ihren Anfang genommen hat! Auch wenn sie in der Chronologie mittlerweile recht mittig angesiedelt ist, war „Parasol Protectorate“ die erste Reihe im Parasolverse (daher wie eingangs bereits beschrieben eben auch dessen Name). Die seelenlose (im wortwörtlichen Sinne!) Alexia Tarabotti lebt im viktorianischen London und erlebt einige Abenteuer – nicht nur in Großbritannien, sondern auch Paris, Venedig und Ägypten.
Neben allerlei Abenteuern zieht Alexia dabei vor allem auch immer wieder skurrile Figuren an: Von ihrem Mann, dem Werwolf Alpha Lord Maccon, über den extravaganten Vampir Lord Akeldama und die französische Erfinderin Madame Lefoux (die Leser der Finishing School Romane bereits kennen werden) bis hin zu ihrer guten Freundin Ivy Hisselpenny, auf den ersten Blick die normalste in der Runde, eigentlich aber nicht weniger exzentrisch als der Rest.
The Parasol Protectorate Manga
Die Manga-Version der Ursprungsreihe
Total überraschend: Das hier ist die Manga-Version der Ursprungsreihe. Leider ist sie nie vollständig umgesetzt wurden, dabei ist sie eigentlich gar nicht schlecht. Okay, die Klamotten, besonders die von Alexia, sind gruselig, völlig unpassend und wieso ihr nicht alle drei Panels die Brüste aus dem Ausschnitt fallen, ist mir ein absolutes Rätsel. An sich sind die Mangas ein nettes Gimmick für alle Fans der Serie. Leider sind sie aber halt unvollständig und es fehlen die letzten zwei Teile, sodass es eben ein recht frustrierendes Gimmick ist. Daher auch nichts, was man wirklich lesen muss.
Supernatural Society ??????
Die LGBTQIA*-Lovestories des Parasolverse (1878/1895)
Eine Novellen-Reihe, die sich ausschließlich den queeren Figuren aus den Hauptreihen widmet. Bisher gibt es hier zwei Novellen, eine, in der es um die französische Erfinderin Genevieve Lefoux geht, in der anderen stehen der junge Alpha Biffy und Professor Lyall im Zentrum der Handlung.
Meine Gefühle zu dieser Reihe sind leider recht bitterweet. Einerseits liebe ich es, dass man hier mehr Einblick in die Leben der queeren Charaktere aus dem Parasolverse bekommt, andererseits verstehe ich nicht, warum diese nicht im Rahmen der Hauptstories glücklich werden konnten bzw. ihre Liebesgeschichten nun so viel kürzer ausfallen. Trotzdem finde ich es natürlich großartig, dass so geliebte Figuren wie Vieve und Lyall ihr eigenes Happy End kriegen. Trotzdem hoffe ich sehr, dass die angedeutete same sex relationship im Custard Protocol tatsächlich realisiert wird und glücklich ausgeht – und dieses HEA nicht in eine Novelle abgeschoben wird.
Meine ausführliche Rezension zu „Romancing the Inventor“ findet ihr übrigens auch hier auf dem Blog.
The Custard Protocol ????
Auf Weltreise im Zeppelin (1895-96)
Die Sequel-Reihe zum „Parasol Protectorate“ soll vorerst, genau wie die Prequel-Reihe, aus vier Büchern bestehen, die diesmal allerdings zwei Paare bilden – in den ersten zwei Bänden übernimmt die bereits aus der Hauptreihe bekannte, mittlerweile aber (fast) erwachsene Prudence „Rue“ Alessandra Maccon Akeldama die Hauptrolle, während der dritte und vierte Band aus der Sicht der Geschwister Primrose und Percy Tunstell erzählt werden sollen. Offenbar sind ein bis zwei weitere Bücher möglich, aber noch nicht endgültig geplant.
„The Custard Protocol “ ist die Reihe des Parasolverse, die ich am kritischsten sehe und gleichzeitig die, die mir am besten gefällt. Das Problem mit der Serie ist, dass dadurch, dass es hier wesentlich globaler wird als bisher der Fall war, auch Themen wie Kolonialismus in den Fokus rücken – und nicht wirklich gut gehändelt werden. Zwar sind die Ansichten und Meinungen, die Rue vertritt vermutlich durchaus passend für jemanden mit ihrem Hintergrund, aber es fehlen Gegenmeinungen, die diese ausgesprochen britisch-viktorianische Ansicht ausgleichen und auch sonst lässt die Darstellung z.B. Indiens schwer zu wünschen übrig.
Trotzdem ist die Reihe – besonders von den drei Hauptreihen – mein Favorit, weil es eben globaler wird und ich es wahnsinnig spannend finde, wie Vampire und Gestaltwandler anderswo aussehen (auch wenn eben diese Darstellungen halt leider alles andere als unproblematisch sind). Rue selbst finde ich übrigens ziemlich unausstehlich, dafür mag ich Prim umso mehr und sie ist der zweite große Grund, warum ich die Serie so mag. Ich habe nämlich ganz eindeutig die Hoffnung, dass hier endlich die erste glückliche gleichgeschlechtliche Beziehung in einer der Hauptreihen auftauchen könnte.
Claw & Courtship ?????
Londoner Werwölfe finden Liebe (1896)
Und die neuste Novellenreihe. In dieser geht es um die Werwölfe des Londoner Rudels und wie sie die Liebe finden. Bislang gibt es lediglich die eine Novelle, in der Major Channing Channing of the Chesterfield Channings mit der jungen Amerikanerin Faith konfrontiert wird. Die entstehende Romanze ist selbst für mich, die ja normalerweise so gar nichts mit Liebesgeschichten anfangen kann, gelungen. Sie ist zwar vorhersehbar (was anderes ist bei einer Novelle wie dieser auch kaum machbar), aber weder InstaLove noch übermäßig kitschig. Die Entwicklung der Charaktere und vor allem Faith’s aktive Rolle in der „Courtship“ haben mich voll und ganz überzeugt und ich bin sehr neugierig auf weitere Novellen!
Meine Leseempfehlung zum Parasolverse
- Die Kurzgeschichte zu Alessandro Tarabotti ist wirklich überflüssig
- Wenn man „Parasol Protectorate“ nicht gelesen hat, ist sie nicht nur überflüssig, sondern auch unverständlich
- Wer YA mag, der kann „Finishing School“ durchaus eine Chance geben, auch wenn ich es aufgrund der Rassismus-Probleme nicht uneingeschränkt empfehlen kann
- Ob vor oder nach dem „Parasol Protectorate“ ist jedem selbst überlassen, es funktioniert auf jeden Fall beides
- Einige der Figuren tauchen im Rest des Parasolverse wieder auf, die Reihe ist aber in sich abgeschlossen und benötigt auch kein Vorwissen
- „Poison or Protect“ funktioniert tatsächlich auch unabhängig vom Rest
- Wer einfach mal ein Gefühl für Gail Carrigers Schreibstil haben will, kann das hiermit tun
- ABER: Die Geschichte ist weitestgehend frei von Fantasy- und Steampunkelementen und daher nicht sonderlich repräsentativ fürs Parasolverse
- Da es nun mal der Ursprung des Parasolverse ist, steht „Parasol Protectorate“ auch klar im Zentrum der Geschichten
- Der optimale Einstieg ins Parasolverse!
- Während „Finishing School“ und „Delightfully Deadly“ unabhängig hiervon funktionieren, ist „Parasol Protectorate“ zum Verständnis aller anderen Geschichten mehr oder weniger notwenig
- „Paranormal Society“ kriegt von mir definitiv eine dicke Leseempfehlung!
- Auch wenn die Novellen laut Inhaltsangabe Stand-Alones sind, würde ich sagen, dass sie wenig bis keinen Sinn machen, wenn man „Parasol Protectorate“ nicht gelesen hat
- Und obwohl ich sie zwischen „Parasol Protectorate“ und „The Custard Protocol“ einsortiert habe, spielt „Romancing the Werewolf“ eigentlich erst nach „Imprudence“ und es macht Sinn das auch vorher zu lesen
- Wie für „Finishing School“ gibt es die Empfehlung zu „The Custard Protocol“ nur unter Vorbehalt, auch wenn es eigentlich meine Lieblingsreihe ist
- Irgendwelche Vorkenntnisse sind zwar nicht zwingend erforderlich, aber allein um zu wissen, wo die Figuren alle herkommen, sollte man „Parasol Protectorate“ definitiv gelesen haben
- Und last but not least ist „Claw & Courtship“
- Auch hier erzählt die Inhaltsangabe etwas von Stand-Alone und ja, man kann „How to Marry a Werewolf“ ohne Vorkenntnisse lesen, die Geschichte spielt aber nach „Romancing the Werewolf“ und macht mehr Sinn, wenn man das Londoner Rudel kennt
5 Kommentare
KommentierenPuh, das ist ja echt ein ziemlich umfangreiches Universum. Habe zwar in den letzten Jahren gemerkt, dass immer mal wieder Bücher erschienen sind, aber dass es mittlerweile so viele sind, das war mir dann doch entgangen. Jedenfalls schwirren Parasol Protectorate und Finishing School bei mir immer mal wieder unter „Sollte ich mal lesen rum“, aber die Priorität ist nicht sonderlich hoch. Sollte mal so fleißig wie du und Konstanze lesen, damit ich hinterher komme XD Es ist natürlich schade, dass es da doch einige kritische Elemente gibt, mittlerweile sollte es ja dahingehend eigentlich eine Sensibilisierung geben …
Danke für den tollen Artikel! Die Reihe mal so chronologisch zusammengefasst zu sehen, hat schon was, die ist ja echt umfangreich. Ich habe vor ein paar Jahren ein paar Bände „Parasol Protectorate“ gelesen und gemocht und den ersten Manga (nicht sooo sehr gemocht) und war immer ein bisschen neugierig auf „Finishing School“, aber ich glaube, ich lasse das. Danke, dass du den Rassismus erwähnt hast, damit könnte ich wohl nicht gut umgehen, „Zeitgeist“ hin oder her.
Uh ich wusste gar nicht, dass es da so viel aus dem Universum gibt. Ich kenne bisher tatsächlich nur die Mangas mit den riesigen Kleiderausschnitten (lach), aber die fand ich schon toll. Wirklich schade, dass die restlichen Bücher nicht auch umgesetzt wurden.
Ich merk grad, wie krass hinterher ich mit der Reihe bin. „Manners & Mutiny“ hab ich immerhin schon daheim, „Imprudence“ würde auch mal anstehen … Aber aktuell ist bei mir aber auch irgendwie die Luft raus. (Würde sich vielleicht ändern, wenn ich mal mit dem Lesen anfangen würde. Andererseits würde mich vielleicht deine Kritikpunkte gerade beim Custard Protocol mittlerweile zu sehr raushauen …)
Aber von der neuesten Novellenreihe wusste ich noch gar nichts! Mein letzter Stand war „Romancing the Werewolf“. (Fand das Ende von Timeless damals sehr frustrierend für die beiden. :/)
„[W]ieso ihr nicht alle drei Panels die Brüste aus dem Ausschnitt fallen, ist mir ein absolutes Rätsel.“
Saaaaaaame. xD Bei manchen Panels hab ich echt lange hintestarrt, weil ich *sicher* war, dass anatomisch bei so einem Ausschnitt eigentlich längst die Brustwarzen zu sehen sein müssten.
Ja, bei so Endlosgeschichten ist schnell mal die Luft raus. Und ich muss sagen, „Custard Protocol“ entwickelt sich mMn auch nicht unbedingt in bessere Richtungen. Habe ja gerade den dritten Band gelesen und sitze jetzt an der Rezension – war leider ziemlich enttäuschend, nicht nur wegen der vorher schon vorhandenen Kritikpunkte, sondern auch sonst :/ Die Novellen sind da tatsächlich besser! Hoffe, es gibt bald noch mehr ^^
Ha, ja! das dachte ich mir auch immer – entweder hat die keine Brustwarzen oder die sitzen sehr, sehr tief XD