Alice, die in den Kaninchenbau fällt. Bastian Balthasar Bux, dem ein Buch den Weg in eine andere Welt öffnet. Vier Geschwister, die durch einen Kleiderschrank in ein Winterwunderland klettern. Dorothy, die nach einem Tornado nicht länger in Kansas ist. Wendy und ihre Brüder, die zum zweiten Stern von rechts und dann weiter bis zum Morgengrauen fliegen.
Die Literatur ist voll von ihnen: Kindern, die Tore in andere Welten entdecken. Manche verbringen dort Tage, Monate, Jahre. Manche lernen in diesen Welten wichtige Lektionen fürs echte Leben und wenn sie zurückkehren, können sie sich dem Alltag stellen, dem sie zuvor nicht gewachsen waren. Aber was ist mit denen, die eigentlich gar nicht zurück wollten? Deren Geschichten in dem Moment enden, in dem sie wieder in der „realen Welt“ landen? Was passiert mit ihnen, wenn ihre Geschichten vorbei sind?
Seanan McGuires „Wayward Children“ Novellas
Dieser Fragestellung geht Seanan McGuire in ihrer „Wayward Children“-Reihe nach. Bislang besteht die Reihe aus drei Novellen, „Every Heart a Doorway“, „Down Among the Sticks and Bones“ und „Beneath the Sugar Sky“, auf die noch wenigstens zwei weitere Titel folgen sollen – „In an Absent Dream“ und „Come Tumbling Down“. Im Zentrum stehen „Eleanor West’s Home for Wayward Children“ und die Jugendlichen/jungen Erwachsenen, die dort ein neues Zuhause finden – fernab von den Welten, in die sie zurückkehren wollen und auch von den Eltern, die sich ihre Kinder so zurück wünschen, wie sie früher waren.
Was mir dabei von Anfang an positiv aufgefallen ist, ist die Diversität der Figuren und wie damit umgegangen wird. Es gibt asexuelle, trans und andere queere, nicht-heterosexuelle Figuren. Themen wie Mobbing, Transfeindlichkeit, Fat Shaming und Rassismus tauchen auf, teils als Traumata, die das Denken und Handeln der Figuren beeinflussen, teils auch in der aktuellen Handlung, allerdings wird nichts davon kommentarlos stehen gelassen oder als pures Mittel zum Zweck genutzt. Alle Figuren haben auch andere Charakteristika, bis auf wenige Ausnahmen, bei denen ich allerdings in kommenden Novellen noch auf Besserung hoffe, sind sie vielschichtig und facettenreich und ihre Sexualität, Genderidentität oder Hautfarbe werden nicht als Alleinstellungsmerkmal missbraucht, sondern sind eben einfach Teil von ihnen und ihrem Leben.
Ebenso positiv aufgefallen ist mir Seanan McGuires Schreibstil. Denn der ist sehr detailreich und bildhaft ohne dabei zu schwafelig oder blumig zu werden. Die Atmosphäre, die durch den Stil hervorgerufen wird, passt hervorragend zu den Geschichten, das Level an Details, das die Autorin einbaut, lässt die Figuren geradezu lebendig werden. Für mich war der zauberhafte Schreibstil, der sich auch in gleichbleibender Qualität durch die Novellen zieht, definitiv eins der Highlights der Geschichten um die Wayward Children.
Every Heart a Doorway
A Murder Mystery Novella
In „Every Heart a Doorway“ begleitet der Leser Nancy, die erst kürzlich aus der Unterwelt, in die sie gestolpert ist, zurückgekehrt ist und sich nichts sehnlicher wünscht, als eine Tür zurück zu finden. Ihre Eltern beschließen sie in Eleanor Wests Schule anzumelden, wo sie nicht nur die exzentrische Schulleiterin selbst, sondern auch ihre ebenso skurrilen Mitschüler kennen lernt. Sie lernt, dass es viele verborgene Türen in andere Welten gibt, dass jeder an dieser Schule Zeit in seinem persönlichen Wunderland verbracht hat – und die meisten dorthin zurückkehren wollen. Und als plötzlich eine Mitschülerin tot aufgefunden wird, gerät sie als ‚die Neue‘ natürlich schnell unter Verdacht.
Diese Mischung aus Urban Fantasy und Murder Mystery mit creepy Fairy Tale Vibe hat zumindest meinen Geschmack genau getroffen. Auch wenn ich in anderen Rezensionen gelesen habe, dass viele das Mystery vorhersehbar fanden, muss ich sagen, dass ich zum einen relativ lange gebraucht habe, um zu erkennen, wer der Mörder ist und die Geschichte meiner Meinung nach auch nicht langweiliger wurde, nachdem ich es wusste. Es geht eben nicht nur bzw. nicht hauptsächlich um die Aufklärung des Mordes, es geht vor allem auch um die Charaktere und deren Entwicklungen – und die fand ich, wie anfangs ja schon gesagt, sehr gut.
Down Among the Sticks and Bones
A Gothic Horror Novella
„Down Among the Sticks and Bones“ hingegen ist ein Prequel – es erzählt die Geschichte der Zwillinge Jack & Jill, die als 17-Jährige auch in der ersten Novelle eine Rolle spielen. DBtSaB hingegen erzählt wie Mädchen als 12-Jährige in einer „Frankenstein meets Dracula“-esquen Welt gelandet sind und was sie ihren fünf Jahren dort erlebt haben, bevor sie wieder in der „echten Welt“ gelandet sind und von ihren Eltern in Eleanor Wests Schule abgeschoben wurden.
Im Prequel geht es unter anderem auch um Geschlechterklischees und darum, wie Kinder in Rollen gezwängt werden, die nicht ihrem Wesen entsprechen. Einerseits fehlte für meinen Geschmack etwas die Vielfalt der ersten Novelle – dort ist allein durch die Anzahl der Charaktere für jede Menge Abwechslung gesorgt, vor allem, weil Seanan McGuire auch den Nebenfiguren ein für die geringe Seitenzahl erstaunliches Level an Detail verpasst. In „Down Among the Sticks and Bones“ arbeitet die Autorin hingegen eher mit Gegensätzen als mit Vielfalt. Das mag die Novelle in mancherlei Hinsicht simpler und anfälliger für Klischees machen, ich fand sie allerdings sehr gut und erneut mit überraschender Tiefe umgesetzt.
Beneath the Sugar Sky
A Sickly Sweet Novella
Und in „Beneath the Sugar Sky“ kehrt die Geschichte wieder ins „Jetzt“ zurück, denn diese Novelle ist eine direkte Fortsetzung der ersten, voller alter Bekannter, aber auch einiger neuer Figuren. Ich muss sagen, es ist von den drei Novellen die, die mir am wenigsten gefallen hat. Ich fand die Geschichte nicht schlecht, beim besten Willen nicht, aber während die anderen beiden meiner Meinung nach wirklich herausragend waren, reicht es bei BtSS ’nur‘ für ein solides gut. Es ist ein bisschen wie mit den Covern: Die ersten zwei (und das vierte) sind toll, aber das dritte ist für meinen Geschmack irgendwie zu rosa.
Während „Beneath the Sugar Sky“ wirklich herausragendes Worldbuilding zeigt, ist es eben – wie das Cover schon andeutet – nicht ganz so düster, nicht ganz so wicked wie die ersten zwei Teile und da mir gerade diese Atmosphäre so gut gefallen hat, gibt es für die dritte Novelle eben ein paar Pünktchen Abzug. Die Geschichte ist trotzdem noch toll, die Figuren, zu denen wir hier wieder zurückkehren und auch die, die wir neu kennen lernen, konnten mich schnell in ihren Bann ziehen und es gibt ja definitiv noch einige (viele!) düsterere Elemente, aber trotzdem war es mir an einigen Stellen einen touch too zuckrig (pun intended?).
Weitere Wayward Children Bücher
Wie eingangs erwähnt, wird es noch mindestens zwei weitere „Wayward Children“ Novellen geben. „In an Absent Dream“ (ET: 08.01.2019. falls noch jemand ein Geburtstagsgeschenk für mich sucht *hust*), das seit neustem sogar ein Cover hat (und wieder sehr zauberhaft aussieht), wird erneut ein Prequel sein und die Geschichte von Lundy, einer der Figuren aus „Every Heart a Doorway“, erzählen. Worum es in „Come Tumbling Down“ (ET: 2020) geht, ist noch unbekannt, wenn das Muster fortgesetzt wird, könnte es aber wieder eine direkte Fortsetzung von „Beneath the Sugar Sky“ werden.
Außerdem gibt es gute Neuigkeiten für alle, die die Serie gerne lesen würden, aber keine Lust haben, das auf Englisch zu tun: Bei Fischer TOR erscheint nämlich am 23.01.2019 (an meinem Geburtstag, yay! Vielleicht sollte ich es mir selbst schenken) unter dem Titel „Der Atem einer anderen Welt“ ein Sammelband mit den ersten drei Novellen der Reihe. Ich bin ehrlich gesagt sehr gespannt darauf, wie der Schreibstil in der Übersetzung rüberkommt und werde das Buch vermutlich lesen …
15 Kommentare
KommentierenIch freu mich ja immer so, wenn jemand diese Bücher für sich entdeckt und von dem Schreibstil der Autorin, ihrer Fantasy, ihrem Hang zu düsteren Elementen und ihrem Umgang mit verschiedenartigen Charakteren ebenso angetan ist wie ich.
(Als nächstes könntest du dann mal „Sparrow Hill Road“ und die Fortsetzung „The Girl in the Green Silk Gown“ ausprobieren. 😉 )
Schön, dass deutsche Leser demnächst auch in den Genuss der Geschichten kommen. Ich hoffe nur, dass die deutsche Übersetzung mit mehr Fingerspitzengefühl umgesetzt wird als das Cover. Oo
Das Cover ist echt gruselig, nicht? ? Habe mich auch gefragt, wie man bei den wunderhübschen Vorlagen so ein dermaßen langweiliges 08/15 Cover da drauf klatschen kann. Vor allem bin ich mir auch sicher, dass ich das Tor schon auf mindestens drei Covern gesehen habe ?
Werde mir „Sparrow Hill Road“ direkt mal anschauen – brauche nach all der Regency auch dringend mal wieder was anderes, daher danke für den Tipp ?
Vor allem ist das Cover viel zu kitschig und passt überhaupt nicht zum Inhalt!
Mach das! 🙂 Es gibt eine ältere Auflage von „Sparrow Hill Road“ mit einem Mädchen auf dem Cover und eine neuere – passend zur im Juli erscheinenden Fortsetzung – mit einem abstrakteren Cover. Wenn du dir den Roman also als gedruckte Ausgabe kaufen solltest, solltest du darauf achten. 🙂
(Während ich noch überlege, ob ich mir wirklich zum zweiten Mal „Sparrow Hill Road“ zulegen soll, um die beiden Bände zueinander passend zu haben. *seufz*)
Ich finde es ehrlich gesagt gar nicht übermäßig kitschig, sondern einfach nur total nichtssagend. Nicht kitschig, nicht düster, gar nichts ?♀️
Und danke für den Hinweis! Ich würde es mir ja, wenn es wirklich gut war, auch definitiv nochmal mit dem passenden Cover holen XD
Ich glaube, für mich macht es der Vogel kitschig!
Ich mag das alte Cover eigentlich sehr gern, auf der anderen Seite sind die neuen auch nicht schlecht (ich würde mir sogar in dem Design ein Dinner-Shirt kaufen, wenn der Import aus den USA nicht immer so teuer wäre *g*). Aber vor allem gebe ich so ungern doppelt Geld aus …
Ich muss mir unbedingt die Bücher mal besorgen, obwohl der Preis schon ganz schön happig ist. Das deutsche Cover ist wie so oft eine ziemliche Enttäuschung …
Ja, das deutsche Cover ist wirklich enttäuschend aber leider ist diese Enttäuschung eben auch wenig überraschend. Eigentlich echt eine Schande für so eine tolle Serie …
Ich habe das erste ja von Sas geschenkt bekommen und die anderen beiden dann bestellt, als es bei Thalia mal wieder eine Prozente-Aktion gab, da ging es dann, aber ja, die Preise haben es schon in sich. Aber es lohnt sich! 😀
Hallöchen,
ich habe „Every Heart a Doorway“ schon etwas länger auf meinem Kindle. Allerdings wusste ich bisher nicht worum es geht, da das Buch Teil eines Bundles war, an dem mich einige der anderen Werke interessierten.
Jetzt hast du aber mein Interesse geweckt. Ich glaube, ich werde das Buch demnächst lesen.
LG
Elisa
Hallo
Jetzt hast du mich neugierig gemacht. Die klingen wirklich interessant aber die Frage stellt sich nur: Deutsch oder Englisch?
Ich mach es wohl vom Urlaub abhängig. Wenn ich eines davon in den Regalen einer irischen Buchhandlung sehe, dann nehme ich es mir mit
Liebe Grüße
Lilly
#litnetzwerk
Hallo Rike,
wie schön, dass du diese wundervolle Reihe vorgestellt hast! Ich habe bisher selber nur den ersten Band gelesen, habe aber auch schon viel Gutes über die Folgebände gehört. Auch wenn diese scheinbar nicht ganz an den ersten Band ranzukommen scheinen, aber was soll man machen, wenn man die Messlatte so hoch legt 😉 Dass noch mehr Bände geplant sind, wusste ich noch gar nicht, vielen Dank für die Info!
Mir gefällt dein Blog richtig gut, ich glaube ich bleibe 🙂
Liebe Grüße
Anja
#litnetzwerk
Liebe Rike,
oh, dass die Bücher auch auf Deutsch erscheinen werden, wusste ich noch gar nicht. Vielen Dank für die Info! Die Reihe wird ja im englischsprachigen Raum sehr gehyped. Mich hat sie nie so interessiert, aber dein toller Beitrag hat sie mir gerade irgendwie schmackhaft gemacht. Danke dafür! (auch wenn die Wunschliste jetzt natürlich wieder wächst…yay)
Viele Grüße,
Emily
Wow, ich hab tatsächlich noch nie von den Büchern gehört, aber sie sind dann mal direkt auf meine Wunschliste gewandert! Sie klingen verrückt und spannend zugleich. Danke für die Vorstellung 🙂
Das deutsche Cover finde ich unpassend, werde dann wohl auch eher zur englischen Ausgabe greifen! Das wirkt so geheimnisvoll.. das Deutsche… joa, ich kann nicht mal sagen wie es wirkt 😀
Alles Liebe,
Sinah
[…] Diese Novelle ist auch eins dieser Bücher, die mir immer wieder begegnen. Nun habe ich mich trotz des ziemlich hohen Preises endlich dazu überwunden, mir die Geschichte zu bestellen. Die „Wayward Children“-Reihe soll schlussendlich fünf Novellen umfassen. Falls Ihr gerne wissen wollt, worum es in ihnen geht, empfehle ich Euch diese Sammelrezension zu den ersten drei Teilen der „Wayward Children“ von RikeRandom. […]
[…] Every Heart a Doorway – the introduction to the main story […]
[…] the story that one child found behind their door. But unlike the other two prequels we got so far, Down Among the Sticks and Bones and In an Absent Dream, this one does not feature a character who previously appeared in the main […]